Vorschlag für einen Entschließungsantrag an die Geschichtswerkstatt der Paneuropa-Union Deutschland, in Nürnberg Febr. 2024
Resolution für den Unterricht der deutschen und der französischen Sprache und der damit verbundenen Kulturen auf beiden Seiten des Rheins
Pierre Klein
Text zum herunterladen: Resolution Paneurope
Version en français du texte : Résolution Paneurope-FR
Während ihrer ordentlichen Sitzungsperiode 2017-2018 hatte die Nationalversammlung am 22. Januar 2018 eine Resolution „Für einen neuen Élysée-Vertrag“ verabschiedet.
In den Erwägungsgründen hieß es unter anderem:-…
– dass das vereinte Europa und die deutsch-französische Freundschaft im Alltag für alle Bürgerinnen und Bürger besser spürbar sein müssen. Besondere Aufmerksamkeit muss den Grenzregionen gewidmet werden, wo diese Partnerschaft einen echten Mehrwert bringen muss;
– dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit weiter intensiviert werden muss ;
– dass Frankreich und Deutschland eine vollständige und rasche Integration ihrer Märkte anstreben und dass sich beide Länder gemeinsam für einen vollständig integrierten europäischen Binnenmarkt einsetzen ;
– dass der sprachliche, kulturelle, berufliche, akademische und Lern-Austausch über die nationalen Grenzen hinweg noch entschiedener gefördert werden muss ;
– dass der deutsch-französische Austausch mit Leben erfüllt, jungen Menschen eine Qualifikation vermittelt und gemeinsam der Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit aufgenommen werden muss ;
– dass die Beherrschung der Sprache des Nachbarn der Schlüssel zum gegenseitigen Verständnis ist ;– …
Sie forderte insbesondere:
– „die Regierungen, zweisprachige und bilinguale Klassen sowie Schulen, an denen sowohl das französische Baccalauréat als auch das deutsche Abitur abgelegt werden kann, zu entwickeln, um in Deutschland und Frankreich die Zahl der Lernenden der Partnersprache im gesamten Bildungssystem zu erhöhen ;
– begrüßt mit Interesse die von den beiden Regierungen auf dem Deutsch-Französischen Rat vom 13. Juli 2017 eingegangene Verpflichtung, einen jährlichen Zwischenstand einzuführen, der eine Bilanz des abgelaufenen Schuljahres zieht und präzise Ziele für das folgende Schuljahr festlegt…“.
Schöne Vorsätze, aber was wird daraus?
- Der Französischunterricht in Deutschland und der Deutschunterricht in Frankreich
In den Zeitungen DNA und L’Alsace vom 5. Juli erschien ein Artikel mit dem Titel „Französisch -nicht mehr unbedingt notwendig“, in dem die Worte des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, weiter ausgeführt wurden. Es ist nur allzu bekannt, dass der Französischunterricht in den letzten zwei Jahrzehnten stark zurückgegangen ist, und zwar nicht nur in diesem Bundesland, sondern in ganz Deutschland.
Immer weniger Schülerinnen und Schüler in Deutschland lernen Französisch als Fremdsprache. Im Schuljahr 2021/2022 waren es 1,29 Millionen der insgesamt 8,44 Millionen Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen. Der Anteil ist mit 15,3 % so niedrig wie seit dem Schuljahr 1994/1995 (15,1 %) nicht mehr. Das teilt das Statistische Bundesamt (Destatis) zum Deutsch-Französischen Tag am 22. Januar mit, an dem an die Unterzeichnung des Élysée-Vertrags zwischen den beiden Nachbarstaaten vor 60 Jahren erinnert wird. Am höchsten war der Anteil der Französisch lernenden Schülerinnen und Schüler mit 19,1 % (1,70 Millionen) im Schuljahr 2009/2010.[1]
Dafür gibt es mehrere Gründe.
Eine davon ist, dass der englischen Sprache immer mehr Bedeutung beigemessen wird, was im Gegenzug dazu führt, dass andere Sprachen, insbesondere die französische Sprache, langsam verdrängt werden. English is a language killer . In Bezug auf Baden-Württemberg kann man nur bedauern, dass die Bevölkerung es nicht für notwendiger hält, sich im Rahmen einer kollektiven deutsch-französischen Zweisprachigkeit über den Rhein hinweg unterhalten zu können, obwohl sie weiß, dass Französisch dort nie eine Volkssprache war. Zweifellos muss in der Bevölkerung noch eine entsprechende Kultur entwickelt werden, und bereits jetzt ist das Erlernen mehrerer Sprachen nicht nur möglich, sondern für denjenigen, der es nutzt, auch von Vorteil.
Aber wir sollten die Deutschen nicht mit Steinen bewerfen, die Franzosen machen es auch nicht besser. In der Tat wurde der Unterricht der deutschen Sprache vom Bildungsministerium seit mehreren Jahrzehnten vernachlässigt oder sogar dekonstruiert. Der Deutschunterricht ist in Frankreich auf einen Grad von unter 15 % gesunken[2].
Das Elsass, wo die deutsche Sprache historisch den Charakter einer Volkssprache hat und Deutsch eine Regionalsprache ist[3], bildet noch eine kleine Ausnahme, entkommt aber dem Mainstream nicht. Obwohl die Nachfrage nach Deutschunterricht nach wie vor groß ist, ist die Zahl der Deutschstudenten bereits auf einem der niedrigsten Niveaus und der Mangel an Lehrern ist bereits deutlich spürbar, sodass das Angebot nicht mithalten kann.
Zwar wäre es durchaus möglich, über den Rhein hinweg in englischer Sprache zu kommunizieren, auch wenn die Sprache beherrscht werden müsste, aber dabei würde die Kommunikation nicht auf den Kulturen des Oberrheins aufbauen. Sie wäre gewissermaßen überirdisch, und wahrscheinlich würde man sich eher verständigen als verstehen.
Den Sprachen vor- und nachgelagert sind die Kulturen[4]. Eine Sprache auf Kosten anderer zu fördern, bedeutet, die Kultur, die sie vermittelt, auf Kosten anderer Kulturen zu fördern, d. h. auf Kosten anderer Lesarten und Verständnisse der Welt, des Lebens, der Menschen und der Dinge. An dem Tag, an dem das Englische die anderen Sprachen verdrängt hat, werden wir das Einheitsdenken installiert haben.
Die große Baustelle der Zweisprachigkeit, die auf beiden Seiten des Rheins eingerichtet werden muss, muss noch in Angriff genommen werden. Dazu bedarf es einer umfassenden und wiederholten Politik der Bewusstseinsbildung der Bevölkerung auf beiden Seiten des Rheins über die hohe soziale, kulturelle und wirtschaftliche Effizienz der deutsch-französischen Zweisprachigkeit sowie einer Sprachpolitik, die den kollektiven Gebrauch und die individuelle Kenntnis der beiden Sprachen fördert.
Geht es für die Rheinanlieger nicht darum, 360 Grad voll leben zu können, ohne also dem anderen den Rücken zu kehren, und die Realität der politischen Grenzen durch das Ideal der kulturellen Integration zu überwinden, das zum Zusammenfluss und zur Synthese zweier großer europäischer Kulturen, der französischen und der deutschen, aufruft.
- Aufruf zur Querfinanzierung des Unterrichts für Französisch und Deutsch am Oberrhein
Die deutsch-französische Zusammenarbeit wird, sowohl im Hinblick auf die Verständigung und die Kommunikation zwischen den Bürgern und Bürgerinnen, wie auch in wirtschaftlicher Hinsicht, insbesondere auf der Ebene der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, umso erfolgreicher werden, je besser die jeweilige Partnersprache beherrscht und die deutsch-französische Zweisprachigkeit gefestigt wird.
Es ist jedoch offensichtlich, dass die Kenntnis und die Beherrschung der deutschen Sprache in den an Deutschland angrenzenden französischen Gebieten und umgekehrt der französischen Sprache in den an Frankreich angrenzenden deutschen Gebieten erheblich abgenommen haben. Frankreich kann der Rückgang der Beherrschung der französischen Sprache in Deutschland ebenso wenig gleichgültig bleiben, wie umgekehrt auch Deutschland der Rückgang der Beherrschung der deutschen Sprache in Frankreich.
Diese Feststellung ist in Bezug auf die Region Oberrhein aufgrund der historischen und kulturellen Bindungen, die diese Region charakterisieren, von besonderer Bedeutung: Die deutsche Sprache besitzt im Elsass historisch betrachtet einen besonderen Stellenwert und sie ist dort auch offiziell als Regionalsprache anerkannt. Umgekehrt kommt der französischen Sprache in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz aufgrund der unmittelbaren Nachbarschaft zu Frankreich und den traditionell engen Verbindungen und Verflechtungen zwischen Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Frankreich eine besondere Bedeutung zu.
Mit Blick auf eine anzustrebende deutsch-französische Zweisprachigkeit sind beide Länder aufeinander angewiesen. Jedes Land braucht die aktive Unterstützung des anderen, um im Partnerland auf bestmögliche Weise die erforderlichen Sprachkenntnisse zu fördern. Abgesehen von den Maßnahmen, die jeder Staat für sich selbst ergreifen muss, um die Kenntnis der Sprache des Partners in seinem eigenen Hoheitsgebiet zu stärken, ist es eine unverzichtbare Notwendigkeit, dass im Rahmen der deutsch-französischen Freundschaft jeder Staat darüber hinaus verpflichtet wird, seine eigene Sprache auch bei der Bevölkerung des befreundeten Landes zu fördern. Mit anderen Worten: Frankreich muss ermutigt werden, Maßnahmen zugunsten der französischen Sprachkenntnisse in Deutschland zu ergreifen und gleichzeitig muss Deutschland ermutigt werden, Maßnahmen zugunsten deutscher Sprachkenntnisse in Frankreich zu ergreifen.
Diese Hilfe kann verschiedene Formen annehmen: Bereitstellung von Pädagogen oder Lehrern, Bereitstellung von Unterrichtsmaterialien, Aufnahme von Studenten aus dem Nachbarland in die eigenen Ausbildungseinrichtungen, aber auch finanzielle Unterstützung für Bildungsprogramme, für öffentliche oder private Vereine, die sich im Partnerland engagieren.
Es ist wünschenswert, dass sich entsprechende Formen der sprachlichen Förderung in einer gewissen Parallelität entwickeln. Jeder Partnerstaat und / oder die Gebietskörperschaften, die ihm angehören, könnten sich so durch die Bereitstellung finanzieller Mittel dazu verpflichten, die eigene Sprache im jeweiligen Nachbarland zu fördern. Frankreich würde sich zum Beispiel verpflichten, eine Förderung für die Kenntnis der französischen Sprache in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz in Höhe von 1 Million Euro bereitzustellen, während Deutschland, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sich zu einem Betrag in gleicher Höhe für die Förderung der deutschen Sprache im Elsass verpflichten würden.
Wir appellieren an die gewählten Amtsträger aller politischen Ebenen und an alle kulturellen Vereinigungen auf beiden Seiten des Rheins, insbesondere aber an die oberrheinischen Gebietskörperschaften, an die Organe und Gremien der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, an die Eurodistrikte, an den Begleitausschuss der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und an die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung, diesen Vorschlag mit allem Nachdruck zu unterstützen.
- Sprachunterricht mit Geschichts- und Kulturunterricht verbinden
Gründe, sie zu verbinden
Obwohl es einer großen pädagogischen und kulturellen Logik entspricht, dass Sprachen nicht von ihren soziohistorischen und soziokulturellen Bestandteilen getrennt werden, gibt es dennoch immer noch eine starke Tendenz, die Form vom Inhalt zu trennen und sie außerhalb ihres historischen und kulturellen Kontexts zu unterrichten.
Über das Erlernen der Kommunikation hinaus geht es darum, den Schülerinnen und Schülern die Andersartigkeit und die Existenz anderer Kulturen bewusst zu machen, sie auf die Interkulturalität vorzubereiten, sie aufzufordern, Ethnozentrismus und Relativität in der nationalen Erzählung gegeneinander abzuwägen und sie für die Dialektik zwischen gewährtem Respekt und erlangter Anerkennung zu öffnen.
Wenn wir uns also für die Förderung und Entwicklung der deutschen und französischen Sprache auf beiden Seiten des Rheins einsetzen, müssen wir uns auch dafür einsetzen, dass ihr Unterricht nicht länger von den früheren oder gegenwärtigen regionalen Gegebenheiten am Oberrhein abgekoppelt wird.
Die Deutsch-französische Zweisprachigkeit muss eine Zweisprachigkeit innerhalb dieser Realitäten bedeuten, und dass diese Realitäten müssen in der Zweisprachigkeit verankert sein müssen. Die Sprachen der Region und die Geschichten und Kulturen der Region sind miteinander verbunden. Der Sprachunterricht fordert den Unterricht der Geschichten und Kulturen. Der Unterricht der letzteren macht den Sprachunterricht attraktiver und umgekehrt.
Es ist also sowohl aus pädagogischen als auch aus kulturellen Gründen notwendig, dass der Unterricht der Geschichten und Kulturen der Oberrheinregion mit dem Unterricht in den Sprachen der Region verbunden wird.
Dabei geht es zum einen darum:
– spezifische Elemente der Geschichte und Kultur des Oberrheins systematischer in den Sprachunterricht zu integrieren, wie dies bereits geschieht, sowohl aus pädagogischen Gründen und zur Vermittlung eines Erbes als auch um das Interesse der Schüler an diesem Fach zu steigern ;
– andererseits ein spezifisches Fach Geschichte und Kultur des Oberrheins in den betroffenen Schulbezirken zu schaffen oder zu entwickeln.
In Wahrheit geht es darum, die nationalen Identitäten zu überdenken und sich zu fragen, welchen Platz der Geschichts- und Kulturunterricht den regionalen kulturellen Identitäten, in diesem Fall des Oberrheins, und ganz allgemein der notwendigen Vereinbarkeit des Universellen und des Besonderen einräumt. Man muss sich von einem Unterricht lösen, der zu sehr die exklusive und verarmende Besonderheit feiert, und ihn für die Geschichte und Kultur des Anderen, der Anderen öffnen, die einschließt und bereichert.
Es geht darum, die berechtigten Ansprüche der Vielfalt der Erfahrungen in einer Dekonstruktion – Rekonstruktion der nationalen Geschichte und Kultur zu berücksichtigen, die es allen verdeckten Erinnerungen ermöglicht, sich in eine neue Perspektive einzuschreiben, die die Grundlage für aktualisierte und lebendige nationale Identitäten für die Bewohner beiderseits des Rheins von heute bildet. Die „Pflicht zur Erinnerung“ muss unbedingt mit der Berücksichtigung der Vielfalt der Erinnerungen einhergehen.
Von der Notwendigkeit eines regionalen Gedächtnisses
Der Oberrhein hat zwar eine Geschichte, aber kein Gedächtnis, da die Menschen auf beiden Seiten des Rheins nie die Gelegenheit hatten, ihre Geschichte und Kultur gemeinsam aufzuarbeiten und ein kollektives Gedächtnis zu entwickeln. Das liegt daran, dass ihre Geschichte und Kultur in ihrer Gesamtheit in den Schulen nicht gelehrt werden und in den Medien, insbesondere den öffentlichen, weitgehend fehlen.
Was die Bewohner der beiden Seiten des Rheins vorstellen, ist in erster Linie das Ergebnis einer Geschichte, die ihnen erzählt wird oder die sie sich selbst erzählen. Eine Geschichte, die viel Sentimentalität, Widersprüche, Unsicherheiten und Ungenauigkeiten, aber auch Unwahrheiten enthält.
Die Existenz einer gemeinsamen pluralistischen Kultur am Oberrhein kann in ihrer Darstellung nicht bestritten werden, so leicht ist es, eine Bestandsaufnahme zu machen. Dies gilt jedoch nicht für eine gemeinsame oder kollektive Identität des Oberrheins, da eine gemeinsame politische Kultur noch weitgehend geschaffen werden müsste, insbesondere durch eine vollwertige gemeinsame politische Institution. Der politische Oberrhein muss noch kommen und erreicht werden. Es stellt sich insbesondere das Problem des Geschichts-, Sprach- und Kulturunterrichts, des Aufbaus einer Vorstellungswelt, der „Emblematisierung“ von Wahrzeichen oder Sinnbild des Verbindenden, einer zu schaffenden öffentlichen Meinung und einer zu entwickelnden Staatsbürgerschaft… Aber das ist eine andere Geschichte. Wenn es tatsächlich eine gemeinsame europäische Kultur gibt, da so viele Dinge von den Völkern, Ländern und Regionen Europas geteilt, ausgetauscht oder gemeinsam gemacht wurden, ist sie am Oberrhein noch offensichtlicher und stärker, was vor allem auf eine lange gemeinsame Sprachpraxis zurückzuführen ist. PK
[1] Statistisches Bundesamt Wiesbaden Januar 2023.
[2] 1995 lernten mehr als 600.000 Schüler Deutsch als erste Sprache. Im Jahr 2015 waren es nur noch 231.000 und im Jahr 2021 nur noch 147.000, (Les Échos vom 19. August 2022).
[3] Wie dies insbesondere aus dem Gesetz zur Gründung der Europäischen Körperschaft Elsass hervorgeht.
[4] Sprache und Kultur sind eng miteinander verbunden. Die Sprache prägt die Kultur, die wiederum die Sprache prägt.